Quellenangaben — Issue #85

Ann Cathrin Riedel
9 min readAug 1, 2021

Keine Sorge, ich will hier nicht über Fußnoten oder angebliche Plagiate in Büchern reden. Wie sehr kann man sich eigentlich an Dingen abarbeiten und verbeißen? Ich will liebe noch mehr über die Gefahr durch Staatstrojaner sprechen. Habe ich auch vergangene Woche, und zwar mit dem Spiegel. Könnt Ihr Euch gerne hier anhören!

Und dann will ich gerne noch darüber reden, dass ich nach Ewigkeiten wieder Bahn gefahren bin und geflogen bin! Was auch heißt, dass ich zum ersten Mal am BER war. Sieht schick aus, aber irgendwie scheints da nur sehr wenig Sitzgelegenheiten zu geben. Na ja. Ich bin ja erstmal nur dort gelandet. Zeitlich macht es übrigens nichts aus, ob man nach München von Berlin aus fliegt oder mit dem Zug fährt. Es dauert mit ÖPNV zum Flughafen bzw. Hauptbahnhof wirklich genau gleich lang. Nur mit dem Zug ist es deutlich stressfreier (aber ich hatte keine Wahl — es gab keinen passenden Zug mehr zurück…). Was habe ich in München gemacht? Wir haben mit LOAD und der Thomas-Dehler-Stiftung einen Preis für digitales Bürgerengagement verliehen und #SaveTheInternet für Ihren Einsatz gegen Uploadfilter ausgezeichnet. Die beiden Vertreter:innen des mittlerweile Vereins haben sich wahnsinnig gefreut — zu Recht! Begleitet wurde die Preisverleihung mit einer Rede vom YouTuber Peter Smits von PietSmiet und einer Laudatio von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Wer sich die Preisverleihung nochmal ansehen möchte, kann das gerne hier tun.

Ansonsten habe ich jetzt den vollen Impfschutz ( 🙏🏼🙏🏼🙏🏼) und war mit meinem digitalen Impfzertifikat auch gleich auf meinem ersten Event: dem 111. Geburtstag von IBM. Hach war das schön. Nicht nur, weil ich das erste Mal seit 1,5 Jahren vor Publikum moderiert habe, sondern auch sehr viele liebe Menschen endlich mal wieder getroffen habe. Es hat alles doch sehr arg gefehlt. Aber ich habe auch die große Sorge, dass das alles gerade wieder nur ein kurzer Moment des Durchatmens ist und die vierte Welle wegen der Delta-Variante vor der Tür steht. Denkt dran, dass da der Impfstoff nicht perfekt gegen wirkt!

Kommt ansonsten gut in die neue Woche mit hoffentlich weniger Regen und mehr Sonne (aber bitte nicht so einem schrecklich schwülen Wetter)

Ann Cathrin 🦙

— -

Die Arbeit an diesem Newsletter kostet mich einige Stunden an Arbeit. Wenn er Dir gefällt, kannst Du mich gerne mit monatlich 3,50, 5 oder 10 Euro über Steady unterstützen. Ich würde mich freuen, danke!

WHAT TO KNOW

Kaum jemand hat es mitbekommen — ich hatte es auch nicht wirklich auf dem Schirm. Das EU-Parlament hat vergangene Woche über die automatisierte Chatkontrolle abgestimmt und sie nun möglich gemacht. Zwar noch nicht verpflichtend — aber das kommt wohl noch. Alleine dieses Möglich machen ist ein krasser Dammbruch. Auch, weil gar keine öffentliche Debatte stattfand. Was ist nun möglich: Anbieter von Messengerdiensten, die nicht verschlüsselt sind (zum Beispiel Telegram (ja), Facebook Messenger oder Instagram), oder Email-Provider wie Gmail können nun Software einsetzen, mit denen sie nach Bildern von Kindesmissbrauch in Euren Chats suchen. Mag im ersten Gedankengang gerechtfertigt klingen, aber kurzes Nachdenken sollte eigentlich schon zum laut schreien verleiten. Jede einzelne Nachricht darf jetzt gescannt werden und ihr bekommt es gar nicht mit. Das ist, als würde jeder Brief, den ihr verschickt, anlasslos überprüft werden. Dabei gilt das Grundrecht auf das Briefgeheimnis.

Dass das für alle von uns höchst problematisch ist, zeigt dieses Interview vom März mit dem Europaabgeordneten der Piraten, Patrick Breyer (ich hatte es hier schon mal geteilt). Filtersysteme sind einfach immer noch wahnsinnig schlecht — nicht nur deswegen lehnen wir sie ab. Schickt Ihr jemandem Fotos mit viel nackter Haut, können die nun gegebenenfalls bei Ermittlungsbehörden landen.

Zum Beispiel gelangen auch völlig legale Erwachsenen-Nacktfotos in die Hände von irgendwelchen Facebook-Vertragspartnern, etwa in Indien, und am Ende auch der Polizei. Eine aktuelle Statistik der Schweizer Bundespolizei zeigt, dass nur 14 Prozent der dort von US-Technologiekonzernen angezeigten Inhalte strafrechtlich relevant waren — in den restlichen Fällen meldeten die Konzernalgorithmen harmlose Formen von Nacktheit, etwa auf Urlaubsfotos. Also wurden zum großen Teil Personen angezeigt, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen.

Das ist übrigens auch für Jugendliche gefährlich, die sich mit gegenseitigem Einvernehmen Nacktfotos zuschicken. Obwohl sie eigentlich geschützt werden sollen, können deren Bilder nun viel leichter irgendwo landen — und was dann passiert? Kann sehr schlecht kontrolliert werden. Wir haben ja leider schon zu oft gesehen, dass Polizist:innen Zugänge zu Daten und Informationen missbraucht haben.

Wenig überraschend hat der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments übrigens befunden, dass das Vorhaben Grundrechte gefährdet. Aber wie so häufig werden solche Gutachten gerne ignoriert.

EU-Parlament segnet umstrittene Chatkontrolle ab — Netzpolitik — derStandard.de › Webwww.derstandard.de

Es wurde ja während der Proteste gegen Artikel 13/17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie mehrfach davor gewarnt, dass verpflichtende Uploadfilter missbraucht werden können und freie Rede unterbunden werden kann. Schon damals wurden Beispiele aufgezeigt — aber gekümmert hat es niemanden. So ist auch dieses jüngste Beispiel kaum bekannt geworden — dafür aber mit Beweis, dass es wirklich die Intention war: Ein Polizist wird während eines Disputs mit Demonstrierenden gefilmt, holt sein Smartphone raus, spielt einen Song von Taylor Swift lauf ab und begründet dieses absurd anmutende Verhalten damit, dass das Video so sehr wahrscheinlich wegen Urheberrechtsverletzungen von YouTube heruntergenommen wird.

Watch a police officer admit to playing Taylor Swift to keep a video off YouTube — The Vergewww.theverge.com

Das Internet lebt von Quellenangaben. Oder einfach Links zu weiteren Informationen. Ich packe hier gerne so viele Links wie möglich rein, einfach um auf den Ursprung meiner Idee zu referenzieren und Euch die Möglichkeit zu geben, Euch weiter ins Thema einzulesen. Ich finde es auch großartig, dass News-Seiten wie die von Netzpolitik ihre Texte voll kleistern mit Quellenangaben durch Links — das weckt nochmal vertrauen, finde ich. Und genauso traurig finde ich, dass sehr viele etablierte Medien das nur zögerlich, wenn überhaupt, tun. Dabei gibt es dabei doch nur Vorteile — für Autorin und Leser.

Der Text unten zeigt auf, wie das Internet verrottet, weil zig Links nicht mehr funktionieren. Quellen, auf die Autor:innen referenzieren sind nicht mehr auffindbar und damit nicht mehr überprüfbar. Das wird vor allem dann problematisch, wenn nur noch digital veröffentlicht wird und ich keine Printprodukte mehr habe — die, und das ist dann doch von Vorteil — eben statisch sind und nicht einfach so veränderbar. Gerade bei wissenschaftlichen Arbeiten, juristischen Urteilen etc. ist es wichtig, dass solche Versionen vorliegen und sie so auch nicht einfach verschwinden können, weil sie durch Verlinkungen nicht mehr erreichbar sind. Oder eben Informationen nicht mehr auffindbar sind, weil die Dokumente verändert wurden.

Wie problematisch es ist, wenn wir nicht mehr die Hoheit über Informationen haben, zeigt der Autor anhand von Amazons Kindle. Amazon kann dort beliebig Bücher per Fernanweisung löschen. Oder Autor:innen in ihren eBooks Änderungen vornehmen lassen — ich als Leserin merke davon aber nichts. Mag unproblematischer sein, wenn es sich um Typos handelt, wird aber schwieriger, wenn ganze Passagen gelöscht werden und es nicht mal einen Hinweis darauf gibt.

Noch problematischer wird es dadurch, dass immer mehr Informationen in Apps verlagert werden, auf die man gar nicht verlinken kann. Es braucht also neue Ansätze, wie wir unsere Massen an Informationen sichern können, sodass sie nicht verloren gehen und vor allem die Referenzen auf diese Informationen auch über Jahrzehnte bestehen bleiben.

The Rotting Internet Is a Collective Hallucination — The Atlanticwww.theatlantic.com
Too much has been lost already. The glue that holds humanity’s knowledge together is coming undone.

In der EU soll auch bald der Einsatz von Künstlicher Intelligenz reguliert werden. Dazu gehört auch der Einsatz biometrischer Überwachungssysteme, also Gesichtserkennung, Fingerabdrücke, Iris-Scans oder der Pulsschlag. EU-Parlamentarier:innen fordern jetzt, dass die EU den anlasslosen und massenhaften Einsatz solcher biometrischer Überwachungssysteme im öffentlichen Raum untersagt. Zwar erstmal nur durch ein Moratorium, aber immerhin da ist man sich schon mal einig. Ich plädiere eher für ein komplettes Verbot. In den USA — die werden ja gerne mal als Vorreiter herangezogen, auch um zu behaupten, wir würden uns hier in Europa alles kaputt regulieren — haben bereits zahlreiche Kommunen so ein Verbot durchgesetzt. Denn dort ist schon lange klar, dass das eine Welt ist, die nicht wirklich lebenswert ist. Zumal die Erkennung auch sehr fehleranfällig ist und vor allem marginalisierte Menschen vornehmlich unter den Fehlern leiden.

Ich kann auch nur nochmal dazu aufrufen, die EU-Petition “Reclaim Your Face” (es ist eine richtige Petition!) zu unterschreiben. Ich habe es schon gemacht!

Biometrische Überwachung: EU-Abgeordnete fordern Auszeit für Gesichtserkennungnetzpolitik.org

Eigentlich wollen alle im Bildungswesen, im Gesundheitswesen und in der Verwaltung sichere und datenschutzkonforme Software. Doch wie soll die beschafft werden, wenn Mitarbeiter:innen in der Verwaltung nicht die Kompetenzen haben, zu beurteilen, ob eine Software die Vorgaben einhält, geschweige denn, die Vorgaben für die Ausschreibung korrekt zu definieren?

Die IT-Sicherheitsforscherin Lilith Wittmann hat mal wieder eine Sicherheitslücke gefunden — diesmal bei einem Videokonferenztool, das in bayrischen Schulen eingesetzt wird. Dass in Behörden viel zu wenig Expertise herrscht, sieht man alleine schon an den Statements des Kultusministeriums, das sie als “Hackerin” (und zwar keine gute) bezeichnet und das Aufdecken der Lücke durch sie als “Hackerangriff” bezeichnet.

Lilith Wittmann kritisiert im Interview unten zu Recht, dass IT-Sicherheit viel zu wenig bedacht wird, bei der Entwicklung von Software. Dass security by design auch nicht in der Ausbildung vermittelt wird, oder nur viel zu wenig. Häufig gibt es auch zu wenig Anreize, sichere Software zu entwickeln, dabei ist das eigentlich kein Hexenwerk und auch nicht teurer. Die Konsequenzen aber — auch das sehen wir ja gerade bei Luca oder den Webseiten für die Testzentren — sind bei Nichteinhaltung von Datensicherheitsstandards einfach viel zu gering. Vor allem die gesellschaftlichen.

Unsichere Corona-Software: »Start-ups haben andere Ziele als das Gemeinwohl« — DER SPIEGELwww.spiegel.de

WHAT TO HEAR

Seehofers 69 (Folge 1 und 2/4) | NDR.de — Nachrichten — NDR Info — Sendungen — Das Featurewww.ndr.de

Es war ein Abschiebeflug wie jeder andere, bis Horst Seehofer scherzte: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag …“.

Eine erschreckende Podcast-Reihe mit meinem ehemaligen Kommilitonen Emran Feroz.

WHAT TO WATCH

Krieg vor Gericht — Die Jugoslawien-Prozesse — Geschichte | ARTEwww.arte.tv
1991–2001 — Balkankrieg im Herzen Europas. 1993 wird der Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ins Leben gerufen. Kriegsverbrecher wie Radovan Karadžić, General Mladić und der ehemalige serbische Präsident Slobodan Milošević müssen sich vor Gericht verantworten. Anfangs belächelt, zeigt die Suche nach Gerechtigkeit die ersten Ergebnisse. Der Internationale Strafgerichtshof bringt die Wahrheit über das Grauen des Balkankriegs ans Licht.

WHAT TO READ

WHAT I LIKED

SHARE IT!

Ich freue mich, wenn Du diesen Newsletter weiterleitest oder ihn auf Deinen Social-Media-Kanälen teilst! Ebenso freue ich mich, wenn Du mich und meine Arbeit mit monatlich 3,50, 5 oder 10 Euro über Steady unterstützen magst.

--

--